Schönheitsempfinden 2

Warum gefällt uns ein Papagei meist besser als ein Kolkrabe? Warum finden wir Paradiesvögel mit buntem schillerndem Gefieder schön? Warum sollte ein Mensch einen Vogel mit buntem Gefieder oder schönem Gesang attraktiv finden? Warum bezaubert uns das Vogelgezwitscher der Singvögel und warum gibt es Vogelarten, deren Laute wir unattraktiv finden?

 

Wo brüten Singvögel, deren Gesang uns gefällt und wo brüten Vögel, die keinen schönen Gesang von sich geben? Wie hört sich der Gesang der Vögel an, die im Schilf bzw. in Sumpfgebieten, die für Menschen schwer zugänglich sind, brüten und deren Eier schwer zu finden sind? Und wie „singen“ Vögel, die am Boden brüten? Es ist mir wiederholt aufgefallen, dass die schön singenden Vogelarten häufig eine andere Brutgegend bevorzugen, als Vögel, die nach unserem Empfinden keinen schönen Gesang haben. Wie ist dies zu erklären?

 

Wenn ein Mensch etwas attraktiv und schön findet, bzw. wenn er das Gefieder oder den Gesang eines Vogels schön findet, dann müsste er dadurch einen evolutionären Vorteil haben.

 

Ein Vorteil für einen Steinzeitjäger könnte darin bestanden haben, dass er, wenn er eine Vogelmahlzeit sucht, einen bunten Vogel leichter entdecken kann. Könnte das ein Grund sein, warum er einen Schönheitssinn für einen bunten Vogel entwickelt hat?

 

Und wie ist das in Afrika, der Heimat unserer Vorfahren? Zwitschern Singvögel auch, wenn sie während des Winters in Afrika sind? Wie reagieren Menschen mit einer dunklen Hautfarbe auf den Gesang der Vögel, die im Sommer in Europa brüten und auf die Laute der Vögel, die ganzjährig in Afrika bleiben?

 

Ein Singvogel, der bei uns in einem von Menschen gut erreichbaren Wald brütet, erscheint meist attraktiv. Unsere Vorfahren konnten die Eier jenes Vogels leichter finden als zum Beispiel in einem Sumpfgebiet. Ist dies ein Grund für die Entwicklung eines Attraktivitätsempfindens? Kann die Selektion innerhalb von einigen tausend Jahren ausreichend greifen?

 

Man könnte natürlich die Ansicht vertreten, dass die Vögel dahingehend selektiert wurden, möglichst schön zu zwitschern, damit die Menschen zu fasziniert sind, um seine Eier zu stehlen. Aber der Mensch musste erst ein Schönheitsempfinden für den Vogelgesang entwickeln. Und wo lag der Vorteil für den Menschen? Dies erscheint unlogisch und provoziert Widersprüche. Folglich kann dies so nicht ganz richtig sein. Auch wenn ein Vogel lediglich seinen Revieranspruch demonstriert, so wie viele Biologen dies behaupten, dann müsste der Mensch noch kein Schönheitsempfinden gegenüber dem Vogelgesang entwickeln.

 

Die Vogelmännchen, die in den Tropen ein auffälliges und aufwändig buntes Gefieder, das ein Handicap darstellt, besitzen, helfen den Weibchen nicht bei der Aufzucht der Jungen. Oder anders formuliert: Eine Vogelart, bei der das Männchen nicht bei der Aufzucht der Jungen hilft, hat bunte und aufwändige Federn und somit ein Handicap.

 

Es wird auch die Meinung vertreten, dass die Männchen durch das Tragen eines Federschmucks bereits einen ähnlich hohen Aufwand wie die Weibchen mit der Eierproduktion und der Aufzucht der Jungen betreiben. Was macht dies für einen Sinn?

 

Ein Vogelmännchen mit einem bunten und aufwändigen Handicapgefieder wäre nicht geeignet, bei der Aufzucht der Jungen mitzuhelfen, denn es würde wegen dieser Behinderung beim Fliegen wenig Nahrung bringen. Außerdem würde ein buntes Männchen Feinden verraten, wo sich das Nest der Jungen befindet. Deshalb scheint es sinnvoller, dass ein Männchen, das ein buntes und aufwändiges Gefieder trägt, beim Füttern der Jungen nicht hilft.

 

Vogelmännchen mit buntem und aufwändigem Gefieder sollen angeblich durch dieses Handicap-Gefieder Fitness zeigen (Zahavi). Ein Vogelweibchen soll deshalb den männlichen Partner attraktiv finden. Aber warum sollte ein Mensch einen Vogel mit buntem Gefieder ebenfalls attraktiv bzw. schön finden?

 

Wie bereits erwähnt, müssten Menschen, wenn sie etwas Bestimmtes attraktiv und schön finden, einen evolutionären Vorteil haben. Ein Vorteil für einen Steinzeitmenschen könnte zum Beispiel darin bestehen, dass er, wenn er eine Vogelmahlzeit sucht, den bunten Vogel leichter entdeckt. Ist die Tatsache, dass ein Steinzeitjäger einen bunten Vogel leichter erspähen und somit leichter erlegen konnte, ein ausreichender Grund, dass er einen Schönheitssinn für einen bunten Vogel entwickelt? Vielleicht hat sich gelegentlich ein steinzeitlicher Jäger bunte Federn auf den Kopf platziert, wie es einige amerikanische Naturvölker, wenn sie nach ihrer alten Tradition leben, noch heute tun.

 

Warum scheint uns in erster Linie das zu gefallen, das intensiv farbig ist?

 

Warum gefällt uns Schmuck?

 

Warum finden wir Kunstgegenstände und Gemälde schön?

 

Warum gefällt uns ein Schmetterling mit seiner schönen und meist farbigen Flügelzeichnung?

 

Warum gefällt uns Musik?

 

Warum empfinden wir die Landschaft der Alpen so schön?

 

Warum kann uns das Abendrot so sehr begeistern?

 

Warum sind wir in besserer Laune, wenn die Sonne scheint, als wenn der Himmel trübe aussieht.

 

Warum fasziniert uns Raureif, der im Winter gelegentlich nach einer kalten Nacht zu sehen ist?

 

Warum erscheint eine Blumenrispe in einer Wiese besonders schön, wenn die Rispe erst halb aufgeblüht ist? Eine voll aufgeblühte Blumenrispe erscheint nicht mehr ganz so schön, obwohl sie mehr Blumen hat und somit mehr Farbe zeigt.

 

Warum schauen wir lieber aus dem Fenster und gehen lieber ins Freie, wenn trockene Schneeflocken herunterschweben als bei Regenwetter? Die Gefahr, dass ein Steinzeitmensch im Winter erfroren ist, wenn er länger unterwegs war, war bei Regenwetter und Temperaturen nahe null Grad größer als bei Schneefall, denn Schneefall bei Temperaturen unter null Grad durchnässt die Kleidung nicht. Allerdings hatten unsere Vorfahren in Afrika kaum Kontakt mit Schnee, folglich musste der Selektionsdruck ausreichend stark sein, damit sich eine erkennbare Reaktion auf Schneefall entwickeln konnte. Oder gibt es noch einen anderen Grund, warum wir herunterschwebende Schneeflocken schön finden?

 

Warum sind Menschen, besonders junge Menschen, so begeistert und fasziniert von einer Musik mit viel Rhythmus.

 

Warum lächeln wir ein Kleinkind an, selbst wenn das Kind nicht zu unserem Nachwuchs gehört?

 

Über die meisten dieser Fragen wurde schon viel geschrieben, auch aus philosophischen Blickwinkeln. Sicher gibt es noch unentdeckte Argumente. Für jede dieser Fragen muss es eine gesonderte Antwort geben. Das Schönheitsempfinden müsste in allen genannten Bereichen aus dem Blickwinkel der Evolution zu beantworten sein, jedoch dürfte es teilweise nicht leicht sein, die richtigen Antworten zu finden, besonders da nicht nur eine, sondern mehrere Antworten plausible Erklärungen liefern können.

 

Ich will in nächster Zeit versuchen, möglichst viele dieser Fragen aus meiner Sicht zu beantworten, wobei ich natürlich offen für Hypothesen und Ideen ihrerseits bin.

 

Natürlich ist das Schönheitsempfinden weltweit nicht in allen Bereichen, bei allen Menschen und allen Kulturen gleich. Es gibt bestimmte Dinge, die von fast allen Menschen als schön empfunden werden, wieder andere Dinge werden mehr kulturabhängig als schön empfunden, bzw. sie werden oft nur von bestimmten Menschengruppen und Kulturen als schön empfunden und dies auch nur in einem gewissen Zeitraum.

 

Ob Menschen etwas als schön empfinden oder nicht, wird weitgehend von der Genetik bestimmt. Natürlich haben auch Umwelteinflüsse, wie z. B. die Kindheitsprägung oder der kulturelle Hintergrund, einen Einfluss auf das Schönheitsempfinden. Aber die Genetik bestimmt auch, inwieweit Umwelteinflüsse überhaupt greifen können. Und dies ist bei Menschen sehr unterschiedlich. Die Umwelteinflüsse beeinflussen neben der Genetik wiederum auch die Anfälligkeit gegenüber Umwelteinflüssen und dies alles wird durch die evolutionäre Selektion direkt oder indirekt beeinflusst.

 

Konnte das Schönheitsempfinden oder konnten zumindest bestimmte Bereiche zufällig, insbesondere einem Menschen gegenüber, entstanden sein, ähnlich wie die Angst vor dem altersbedingten, biologischen Tod?

 

Zum Beispiel ergibt sich die Angst vor dem biologischen Tod, also vor dem Tod bedingt durch das Alter, obwohl für die Erhaltung der Gene weitgehend überflüssig, daraus, dass die Natur im Menschen Angst vor dem Sterben fördert. Dies erscheint sinnvoll, damit er auf sein Leben achtet, bevor der betreffende Mensch für ausreichend Nachkommen gesorgt hat.

 

Es ist für die Natur bzw. für die Evolution weniger aufwändig, die Angst vor dem biologischen Tod zu akzeptieren, da die Angst vor dem biologischen Tod wenig „Schaden“ anrichtet. Es ist also ein größerer selektiver Aufwand, die Angst vor dem biologischen Tod auszuschalten, als die Angst vor dem Tod ungeregelt zu lassen. Hier besteht kein ausreichender Selektionsdruck. Die „Kosten“, bzw. der evolutionäre Aufwand, diese Angst nicht zu regulieren und damit zu akzeptieren und von dieser Angst begleitet zu werden, ist geringer, als Regulationsmechanismen zu entwickeln. Die Natur sucht den einfachsten bzw. „kostengünstigsten“ Weg, wenn dieser einfache Weg keinen Fortpflanzungsnachteil mit sich bringt, auch wenn wir dadurch teilweise unnötige Angst erleben.

 

Beim Schönheitsempfinden dürfte dies meist anders sein. Dass das Schönheitsempfinden zufällig entstanden ist, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Für die Natur ist ein Gefühl ein Aufwand, mit der Ausnahme, wenn ein Empfinden bereits vorhanden ist, und sich zufällig auf einen anderen Bereich überträgt, ohne dass dadurch ein Nachteil entsteht. Darüber zu einem späteren Zeitpunkt mehr.

 

Um die Entstehung der Schönheit zu erforschen und zu verstehen, ist es nach meiner Meinung auch wichtig, festzustellen, was müsste passieren, damit ein Schönheitsmerkmal verloren geht.

 

Im Folgenden ein Beispiel:

 

Vogelweibchen würden das bunte Gefieder bei den Männchen immer weniger beachten, wenn zu wenig Männchen überleben würden, zum Beispiel wenn ein äußerst gefährlicher Vogelräuber auftauchen würde. Dann würde sich, vorausgesetzt die Vogelart würde dadurch nicht aussterben, das bunte und aufwändige Gefieder reduzieren und im Laufe der Zeit verschwinden bzw. wahrscheinlich in ein Federkleid mit Tarnungsqualitäten verändern. Dann würden hauptsächlich die männlichen Nachkommen überleben, die weniger oder kein buntes Gefieder haben. Denn bei sehr großem Männchenmangel kommt fast jedes überlebende Männchen zu einer Partnerin, auch die Männchen, die einen mangelhaften Federschmuck besitzen, weil sich sonst viele Weibchen nicht fortpflanzen könnten. Wenn viele Weibchen keinen Partner mehr finden würden, dann würden die Gene der Weibchen überleben, die das bunte Gefieder der Männchen nicht bevorzugen und weibliche Nachkommen zeugen, die ähnlich reagieren und männliche Nachkommen zeugen, die weniger und irgendwann kein aufwändiges und buntes Gefieder haben.

 

Damit ein bunter aufwändiger Federschmuck bei den Männchen erhalten bleibt, muss diese Vogelart in einem Gebiet leben, in der die Männchen ausreichende Überlebensaussichten haben. Außerdem darf das Futter nicht zu knapp sein, denn sonst könnten ohne Mithilfe der Männchen die Jungen nicht ausreichend versorgt werden.

 

Wenn eine Vogelart das bunte Federkleid verliert, dann kann sich diese Vogelart unter günstigen Voraussetzungen irgendwann wieder dahingehend entwickeln, dass sich bunte Männchen mit einem völlig anderen Federschmuck wieder erneut evolvieren.

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